Gehirnwäsche
Nichts als Wahn: Der Aust-Eichinger-Komplex lebt seine Syndrome
aus
Von Ron Augustin
Mit dem »Baader-Meinhof Komplex« läuft am Donnerstag eine der
aufwendigsten Produktionen in der Geschichte des deutschen Films in den
Kinos an. Nach einer Medienkampagne, die es in dieser Form noch nicht
gegeben hat. Die Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Stefan Aust ist
schon vor der Freigabe an die Öffentlichkeit als deutscher Beitrag zum
Oscar nominiert worden, nachdem Reinhard Hauffs »Stammheim«, der sich
ebenfalls auf das Aust-Buch stützte, bei der Verleihung des Goldenen Bären
vor zwei Jahrzehnten von der Juryvorsitzenden Gina Lollobrigida als
»lausiger Film« abgetan worden war.
Der Film kommt genau ein Jahr
nach der weitgehend verfehlten »Abrechnung mit dem Terrorismus«, die zum
30. Jahrestag des Deutschen Herbstes im September 2007 schon mit einem
Zweiteiler von Aust im Fernsehen angefeuert wurde. Auf Basis einer
beispiellosen Schnittfolge werden sämtliche Behauptungen, Erfindungen und
Fälschungen, die in dem Buch noch irgendwie den Quellen zugeordnet werden
konnten, auf der Leinwand auf die Psychopathie einzelner Personen
reduziert. Dem Produzenten Bernd Eichinger zufolge war entscheidend zu
zeigen, »daß sie es tun, nicht, warum sie es tun«. Das hat ihn in dem
Streifen nicht davon abgehalten, leichtfertig mit Begriffen wie
»Faschismus« um sich zu werfen und die dargestellten Personen, bis hin zu
Rudi Dutschke und den 68er Demonstranten, zu hysterischen und lächerlichen
Karikaturen zu verzerren. Mit dem erklärten Ziel, nach vielen Jahren noch
mal mit allen Mitteln einen »Mythos« zu zerstören. Gehirnwäsche
also.
Die Schauspieler fühlen sich dabei erschreckend wohl. Da wird
ein geradezu antisemitisches Bild eines wild herumkommandierenden Andreas
Baader im von Aust frei erfundenen Pelzmantel gezeichnet, werden ihm Sätze
in den Mund gelegt und Geschichten angehängt, die absurd sind. Baader ist
umringt von einem brutalen Haufen, in dem vor allem die Frauen als
fanatisch, zerstörerisch, eiskalt, blöde und selbstmörderisch dargestellt
werden, um nichts als »Wahn« zu vermitteln. Von wegen »Legendenbildung«.
Die letzte Erkenntnis des Aust: Bonnie und Clyde als Voraussetzung für die
Existenz der RAF. Ohne die Liebesbeziehung von Andreas Baader und Gudrun
Ensslin hätte es den bewaffneten Kampf hier nicht gegeben.
Es sind
in Deutschland bis jetzt schon mehr als 30 Spielfilme zum Thema RAF
gemacht worden, und die Dokumentarfilme – mehr als 100 nach meiner
Berechnung – sind gar nicht mehr zu zählen. Etwa ein Dutzend gehen auf das
Konto von Stefan Aust selbst, der sich seit dem Erscheinen seines dem Film
den Titel gebenden Buchs als RAF-Experte stilisiert hat. Das Buch, das in
diesem Monat in einer auf die Filmversionen abgestimmten dritten
Neuauflage erscheint, hat sowohl seinen Titel als auch seinen Inhalt dem
Bundeskriminalamt zu verdanken. Es hat die mehr als 120000 Seiten
umfassenden Ermittlungsakten in den ersten Prozessen gegen die RAF als
»Baader-Meinhof Komplex« geführt.
Aust hat diese Akten, mehr als
250 Ordner, zu einem Zeitpunkt bekommen, als der Zugriff darauf formal
noch auf die Prozeßbeteiligten (d.h. Gericht, Staatsanwaltschaft, Anwälte
und Angeklagte) beschränkt war. Informationen des Staatsschutzes (VS, BKA,
»politische Polizei« bei den LKAs, Bundesanwaltschaft u.a.) sind denn auch
seine Hauptquellen. Ein kritisches Verhältnis dazu ist vom vormaligen
Konkret- und Spiegel-Redakteur nicht zu erwarten, der vor allem auf
Effekthascherei aus ist. Bei seinem Lieblingsthema Stammheim, zum
Beispiel, ist er nie der Frage nachgegangen, ob das »ausgeklügelte
Kommunikationssystem in HiFi-Qualität«, das es unter den Gefangenen
gegeben haben soll, vielleicht nicht das Abhörsystem der Geheimdienste
selbst war. Dagegen macht er sich in den Medien gerne wichtigtuerisch mit
der Story breit, daß die RAF ihn einmal »abknallen« wollte. Und mit der
These, daß, wer die RAF verstehen will, »Moby Dick« lesen soll.
Die Darstellung einer Sache wird nicht wahrer, indem sie immer
aufs neue wiederholt wird. Auch nicht, indem sie mit scheinbar logischen
Schlüssen und oberflächlichen Ähnlichkeiten zum Original ausgeschmückt
wird. Oder indem sie Lernprozesse dadurch verneint, daß Geschichte an der
»Persönlichkeitsstruktur« einiger bekannter Figuren festgemacht wird. Die
Frage ist nur, was wir diesem Bild entgegensetzen können. Auf
verschiedenen Ebenen hat sich gezeigt, daß immer noch und immer wieder
viel Interesse an der Geschichte der RAF besteht. Außer Bruchstücken und
Einzelbiographien gibt es dazu bisher leider keine authentische
Beschreibung und Analyse aus der Gruppe selbst, die diesem Interesse
entspräche. Die meisten aus der RAF, die noch leben, haben sich jahrelang
mit anderen Dingen auseinandersetzen müssen, wie Knast, Polizeirazzien,
Gesundheit und bis zuletzt der Androhung von Beugehaft und neuen
Verfahren. Relevante Diskussionszusammenhänge haben sich unter ihnen nur
langsam entwickeln können.
Deshalb ist es für Historiker,
Studenten und sonstige Interessenten schwierig, auch nur einigermaßen
zuverlässige Quellen zu dieser Geschichte zu finden. Die Aufarbeitung der
Geschichte der RAF ist gekennzeichnet von äußerst mangelhafter und
willkürlicher Dokumentation, sowohl in den Archiven als auch im Internet
als auch in der bis jetzt erschienenen Literatur, um von den Medien und
Filmproduktionen ganz zu schweigen. So werden Erklärungen in den
unterschiedlichsten Fassungen zitiert. Es sind mehrere gefälschte und
zerstückelte Dokumente im Umlauf, und ich habe noch keine Veröffentlichung
gesehen, die nicht subjektiven Interpretationen unterlegen hätte. In einer
Quellenausgabe, die vorgibt, nur Originale zu veröffentlichen, ist jeder
zweite Satz irgendwie geändert worden. Die Situation bei den Übersetzungen
ist fast noch schlimmer. Wer sich wirklich informieren will, wird sich
vorläufig mit den Originaldokumenten begnügen müssen, von denen es
inzwischen eine authentische Sammlung auf der Webseite der International
Association of Labour History Institutions gibt ( labourhistory.net/raf/).
Klar, aus der Sicht derjenigen, die zu ihrer
Geschichte stehen, wäre es an der Zeit, die wesentlichen Erfahrungen
auszugraben und aufzuschreiben, die Ziele und Inhalte wieder an sich zu
reißen, sich die Bilder, die Sprache und einen irgendwie kollektiven
Begriff wieder anzueignen. Solange es ihn nicht gibt, werden die
vorgegebenen Denunziationen – vom Avantgardeanspruch, verpackt in
Erpressungsmärchen, über den Dritte-Welt-Fetischismus und
Deutsch-Nationalismus bis hin zum Antisemitismus und zu den
Selbstmordbeteuerungen – den öffentlichen Diskurs beherrschen. Und einige
werden versuchen, sich damit einen Namen oder halt das große Geld zu
machen.
Ein afrikanisches Sprichwort lautet: »Solange die Löwen
nicht ihre eigenen Historiker haben, werden die Jagdgeschichten stets die
Jäger glorifizieren.« Eichingers Film macht genau dies. Ihm scheint es
nicht einmal um die Opfer von Anschlägen zu gehen, schon gar nicht um die
politischen Fehler, die die RAF gemacht hat, sondern einfach darum,
abzuschrecken und zu denunzieren. Und damit denjenigen, die zur RAF
stießen, auch noch ihren moralischen Anspruch abzusprechen. Der Film ist
eine Beleidigung all derer, die für Emanzipation und Befreiung gekämpft
haben, und all derer, die versuchen, Widerstand gegen die bestehende
Weltordnung zu organisieren.
- Der Baader-Meinhof-Komplex. Regie: Uli Edel. Deutschland 2008,
150 Minuten. Kinostart: 25. September
- Ron Augustin war ab 1971 Mitglied der RAF. Zwischen 1973 und 1980
saß er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Urkundenfälschung
fast ununterbrochen in Einzelhaft.
|