KOMMENTAR VON OLIVER GEHRS |
Als vor fast anderthalb Jahren Tonbänder aus dem
Stammheim-Prozess auftauchten, auf denen man das Lispeln von Andreas
Baader hört, da wurde das Image des Terroristenmachos arg ramponiert. Der
leichte Sprachfehler und der monotone Singsang demontierten das im
kollektiven Bewusstsein bestehende Bild. Über diesen Sensationsfund
berichtete auch der Spiegel, schließlich war es ja dessen ehemalige
Chefredakteur Stefan Aust, der die Bänder in einem Archiv aufgestöbert hatte. Man kann es Stefan Aust nicht übel nehmen, dass in der Verfilmung seines "Baader Meinhof Komplexes" nun doch wieder der obercoole Desperado Baader fröhlich Urständ feiert, als hätte es die Tonbänder aus Stammheim nie gegeben. Der Part des frauen- und knarrenverschleißenden Hallodris ist nicht nur weitaus leinwandtauglicher, sondern vor allem seit 1985 festgeschrieben - genauer gesagt, seit Aust seinen RAF-Klassiker vorlegte, der auf einer sehr subjektiven Auswertung von Kronzeugenaussagen, Verhörprotokollen und Prozessmitschriften beruht und der eine klare Rollenverteilung vorgibt: Gudrun Ensslin als eiskalter Engel, Baader als belmondoesker Rüpel und Ulrike Meinhof als verführtes Sensibelchen.Anzeige Fast ein Vierteljahrhundert später lässt sich Aust seine als Oral History getarnten Räuberpistölchen durch Eichingers Ballermann-Epos noch einmal bestätigen. Die Deutungshoheit, die Aust seit je beansprucht, wird auf der Leinwand quasi mit Waffengewalt noch einmal erzwungen. Dass da ein Terrorist mit breitem Grinsen durch die Gegend läuft und ständig "Ihr Fotzen!" schreit, hat vor allem eine Quelle - nämlich die ehemalige RAF-Terroristin Beate Sturm, die kurz nach ihrer Verhaftung Anfang 1972 im Spiegel einen Artikel veröffentlichte. Überschrift: "Man kann nur zurückbrüllen". Ausführlich schildert sie darin den Streit innerhalb der Gruppe und wie Baader die Frauen beschimpfte. Aust hat aus diesem Zeugenbericht jene Dialogzeilen geschmiedet, die ihm bei Erscheinen des "Baader Meinhof Komplexes" viel Ruhm, aber auch Skepsis eintrugen - und die sich heute eins zu eins im Film wiederfinden, der von willfährigen Aust-Freunden wie dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher im dröhnenden Dolby-Surround-Sound zur Grundlage einer neuen "RAF-Rezeption" hochgejazzt wird. Dabei soll hier doch nur aus alten Kronzeugenaussagen immer wieder derselbe Nektar gesaugt werden. Die abtrünnigen RAF-Mitglieder sind seit je Austs Ghostwriter - Peter Homann, der im Film von Jan-Josef Liefers gespielt wird, Karl Heinz Ruhland und eben Beate Sturm. Andreas Baader schreibt ja keine Gegendarstellungen mehr, merkte Hermann Gremliza dazu schon 1985 an. Alles, was bei Aust nicht ins Bild passt, ließ er schon damals weg. So wie Andreas Baader im "Baader Meinhof Komplex" vor allem mit Tiraden gegen den Richter zitiert wird, so ist er nun auch im Film beim "Arschloch"-Rufen im Gerichtssaal zu bewundern. Dass Baaders Schimpfkanonaden in Stammheim teilweise minutenlange Abhandlungen vorweggingen, in denen er die Verletzung seiner Grundrechte anprangerte, haben Aust und der zur Einfachheit neigende Eichinger weggelassen. Stattdessen mühen sich beide, dem Vorwurf, die Terroristen als Menschen zu zeigen, zu entgehen, indem sie deren Morde effektheischend in Szene setzen: Wenn Schleyer noch kurz selig lächeln darf, weil er eine Mutter mit Kinderwagen neben seinem Mercedes erblickt (die dann eine Maschinenpistole unter dem Deckchen hervorholt), oder wenn die Buback-Mörder auf dem Motorrad noch mal lässig an die Leichen heranfahren, um sich anerkennend auf die Schulte zu klopfen, dann ist die Grenze zur Denunziation überschritten. Angesichts solch wohlüberlegter Anreicherung der Wahrheit auf der einen Seite und all des Weglassens von Verbürgtem andererseits ist es schon ein Hohn, wenn Aust in Interviews behauptet, man habe versucht, mit dem Film möglichst authentisch zu sein. Hier labt sich der Autor wohl an den statistengesättigten Massenszenen und an den kleinen historischen Details, die als verbürgt gelten, weil sie so in den Polizeiakten stehen. Wie die Tränen von Ulrike Meinhof bei der Verhaftung. Da, so Aust ungewohnt gefühlig, habe er fast mitgeweint. Zum Heulen ist aber eigentlich nur, dass sich Aust, Eichinger und Edel nicht ansatzweise bemüht haben, auch neuere Erkenntnisse zur RAF zu verarbeiten. Erkenntnisse, die ironischerweise Aust selbst zu verdanken sind. Da wären neben den Tonbändern mit dem echten Baader auch noch die Abhörmaßnahmen in Stuttgart-Stammheim, die den Tod der Terroristen in einem anderen Licht erscheinen lassen - als staatlich geduldeten Selbstmord nämlich. Nicht ganz unwichtig für die Geschichte - für den Film aber schon. "Austs Buch darf nicht das Buch über die RAF werden und wird es bestimmt auch nicht", hatte Gottfried Ensslin, der Bruder von Gudrun Ensslin, nach dem Erscheinen des "Baader Meinhof Komplexes" in der taz gehofft - und sich phänomenal getäuscht. Es ist nun nicht nur das Buch über die RAF, sondern auch der Film. Die Geschichte der RAF ist seit 23 Jahren bei Aust in Geiselhaft - und das Lösegeld wird in diesem Fall regelmäßig überwiesen. Hätte Moritz Bleibtreu Baader als lispelnden Normalo gespielt, hätte nicht nur Bleibtreu weniger Spaß an der Rolle gehabt - auch Austs Buch wäre in Teilen als Fantasiegebilde enttarnt worden. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem der Verlag eine neue Tranche davon auf den Markt schmeißt, die es zügig in die Bestsellerliste schafft. Das Lustigste an dem ganzen "Baader Meinhof Komplex"-Komplex ist, dass sich Aust in den Film, der kaum Platz für eine Dramaturgie und die wirklich einschneidenden Ereignisse jener Jahre hat, eine relativ große Rolle hineinschreiben ließ. So darf der Film-Aust im Film als Musterschüler von Konkret-Chef Klaus Rainer Röhl die altklugen Augen hinter der Pilotenbrille blitzen lassen und schließlich am Strand von Sizilien als Retter der Meinhof-Zwillinge auftreten, die ihm glücklich in die Arme laufen. Da menschelt es in all dem Gemetzel plötzlich gewaltig - und Aust darf den ganzen Zerrbildern, die der Film bietet, noch sein eigenes hinzufügen. Diese Strategie verfeinert er noch in Interviews, in denen er seit Jahren darauf besteht, damals weitgehend unpolitisch gewesen zu sein. Wobei er all seine zeternden Kolumnen in den St. Pauli Nachrichten ausblendet, die sich lesen, als hätte Ulrike Meinhof sie diktiert. Oder sein "Panorama"-Filmchen von 1974 über Hanns-Martin Schleyer, den er als "Prototyp des Ausbeuters" bezeichnete. Nach seiner Zeit beim Spiegel strebt Aust offenbar ins Schauspielfach. Nach diesem Film traut man Aust sogar zu, dass er die Farbbomben, die neulich auf sein Haus klatschten, selbst geworfen hat - oder von Eichingers Praktikanten werfen ließ. Das wäre dann glasklares Guerillamarketing. taz 9.10.08 |