von Olaf Zander, Berlin

Der Staats-Aust-Eichinger-Komplex

Die Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben. Diese Brecht’sche Erkenntnis ist so alt wie wahr. Im nachfolgend beschriebenen Fall wäre die Formulierung "Denunzianten der Geschichte" allerdings passender. Stefan Aust’s "Baader-Meinhof-Komplex" (was durchaus doppeldeutig zu verstehen ist) wurde verfilmt. Drehbuch und Produktion: Bernd Eichinger. Eben jener Eichinger war auch schon in Sachen Drehbuch und Produktion verantwortlich für den Film "Der Untergang", der vorgibt, die letzten Tage Adolf Hitlers authentisch wiederzugeben. Dabei stützte sich Eichinger vor allem auf drei "Quellen": Den rechtskonservativen Publizisten Joachim C. Fest, den "Erinnerungen" einer der Privatsekretärinnen Hitlers, Traudl Jung sowie die Darstellung: "1945. Als Arzt in Hitlers Reichskanzlei" von Ernst Günther Schenck.

Dementsprechend "authentisch" ist dieser Film. Jetzt lieferte das Buch des eingebetteten Journalisten Aust die Vorlage. Bereits der Titel "Baader-Meinhof-Komplex" ist eine Wortschöpfung des BKA aus den Ermittlungsakten, was dann auch richtungsweisend für das Buch und ergo auch den Film wurde. Aust hatte bereits in den 70er Jahren Akten aus laufenden Verfahren einsehen dürfen, was zwar einerseits illegal ist (da nur direkt Prozessbeteiligte während eines Gerichtsverfahrens Akteneinsicht haben dürfen), andererseits aber schon damals die Unterstützung Aust’s von interessierter Seite klar machte. Diese Unterstützung durch Staatsorgane setzt sich bis zum Film fort, denn erstmals wurde eine Drehgenehmigung für Stammheim erteilt und Originalrequisiten aus Stammheim für die Dreharbeiten zur Verfügung gestellt. In dieser Linie ist es auch konsequent, daß "der teuerste Film der bundesrepublikanischen Geschichte" (dpa) zu etwa einem Drittel der Produktionskosten gefördert wurde, u. a. vom Bayrischen Banken Fond. Grundlage für Aust’s Werk sind vornehmlich Polizei- und Justizakten, sowie Aussagen von reuigen RAF-Aussteigern und gekauften Kronzeugen, die einen Deal mit Staat und Justiz gemacht haben. Dementsprechend verhält es sich auch hier mit dem Wahrheitsgehalt. Neuigkeiten sind nicht zu erfahren. "Authentisch" und "historisch genau" möchte der Film sein. Genauer betrachtet, sind noch nicht einmal allgemein bekannte Geschehnisse authentisch wiedergegeben. Ein Beispiel von vielen: In der "größten Szene des Films" (so die Filmemacher) sind mit Holzlatten bewaffnete Prügelperser, die über Absperrgitter hinweg auf Demonstranten einschlagen, sowie berittene Polizei zu sehen Sie spielt am 2. Juni 1967 während des Schah-Besuches in Berlin, abends vor der Deutschen Oper. Diese Szenen haben nachweislich am Vormittag desselben Tages vor dem Rathaus Schöneberg stattgefunden, am Abend vor der Oper gab es keinerlei berittene Polizei und die SAVAK-Agenten hielten sich dort im Hintergrund.
Die Aufzählung dieser "historischen Genauigkeiten" ließe sich durch den gesamten Film hindurch fortsetzen.

Der Mangel an historischer Genauigkeit und Authentizität wird durch eine reißerische Action-Darstellung angeblicher Abläufe und die Verzerrung der Protagonisten zu Karikaturen kompensiert. So wie schon in den 70er Jahren versucht wurde, Gefangene aus der RAF zu psychiatrisieren, so macht der Film aus kollektiv organisierten Gruppenmitgliedern individual-psychologiesierte Wahnsinnige und Verirrte. Wer den Staat bewaffnet angreift, kann nur verrückt sein, so die Botschaft. Vermutlich ist in dieser Sichtweise auch der Grund dafür zu suchen, warum die Gehirne einiger RAF-Gefangener nach ihrem Tod im Gefängnis bis heute "verschwunden" sind. Wenn es also in diesem Film nicht um historische Genauigkeit und Authentizität geht, worum geht es dann wirklich? Um zweierlei: Zum einen darum, "den Mythos zu zerstören, gerade in der heutigen Zeit" (so die Filmemacher), also die Deutungshoheit über die Geschichte zu gewinnen - und zum anderen; Um daran Geld zu verdienen. Wie kann es denn nach fast vierzig Jahren Mainstream-Propaganda a la BILD und Aust einen "Mythos" geben? Oder ist damit vielleicht eher eine bestimmte Perspektive gemeint? Der Halbsatz "gerade in der heutigen Zeit" ist dabei vielsagend. Terror-Gesetze (fälschlich oft "Anti-Terror-Pakete" genannt), die keinen illegal Arbeitenden stören, die gesamte Bevölkerung aber unter Generalverdacht nehmen. Staatsweite erkennungsdienstliche Behandlung der Bevölkerung, wie sie früher nur bei Strafermittlungen üblich waren, sind hier nur der öffentlichste Ausdruck. Niemand, der konspirativ vorgehen möchte, dürfte von einer Vorratsdatenspeicherung irritiert sein, dafür gibt es genügend technische Möglichkeiten, diese Daten-Rasterfahndung problemlos zu umgehen. Das wissen auch jene "Experten", die diese "Maßnahmen" auf den Weg gebracht haben. Und genauso, wie die Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung "Sicherheit" genannt wird, genauso werden Angriffskriege "Friedensmissionen" genannt. Es geht in Zeiten sich zuspitzender sozialer Konflikte also um einen Präventiv-Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Und der findet auch in den Köpfen statt.